Was denken Sie, welche besonderen Herausforderungen die nächsten 6 Jahre auf die BARMER zukommen?
Sehr geehrte Frau B.,
ich bedanke mich für Ihre Frage.
Viele Herausforderungen, mit denen die BARMER in den nächsten Jahren konfrontiert sein dürfte, betreffen an zahlreichen Stellen auch die Gesamtheit der gesetzlichen Krankenkassen. Ein Hintergrund dafür ist, dass der Gesetzgeber bereits in der letzten Legislaturperiode Regelungen getroffen hat, deren Auswirkungen die GKV und damit auch die BARMER gegenwärtig voll zu spüren bekommen. Hier braucht es schnelle und umfassende Abhilfe.
Gleichzeitig kommen große Veränderungen im Zuge der demografischen Entwicklung, der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung und der sich verändernden Versorgungsbedarfe auf alle Versicherten und damit auf die GKV selbst und auch die BARMER zu. Hierzu gehören etwa die Auswirkungen des Fachkräftemangels in Gesundheits- und Pflegeberufen, die Problematik nicht bedarfsgerechter Versorgungszugänge zu ambulanten Versorgungsformen (etwa ausreichende Hausarztzugänge in strukturschwachen Regionen) und die Verschiebung der Bevölkerungsentwicklung hin zu einer wachsenden Bedeutung von Ballungsgebieten und Metropolregionen.
Zu den drängendsten Herausforderungen für die BARMER gehören aus meiner Sicht daher:
- Die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenkassen muss wiederhergestellt und langfristig gesichert werden. Dazu braucht es neben einem dynamisierten Bundeszuschuss, mit dem der Bund bei Bedarf unterstützend tätig werden kann, eine volle Tragung der so genannten versicherungsfremden Leistungen durch Steuermittel. Bisher werden die Krankenkassen ohne Sachgrund dazu zwangsverpflichtet, die Finanzierung dieser Leistungen zu übernehmen. Auch muss es der BARMER, wie überhaupt jeder anderen Krankenkasse auch, wieder gestattet werden, in ausreichendem Umfang Rücklagen zu bilden, um im Falle kurzfristiger Krisensituationen die Finanzierung des Versorgungsgeschehens für die Versicherten aufrecht zu erhalten. Der Gesetzgeber hatte hier zuletzt andere Weichenstellungen vorgenommen, was es vielen Krankenkassen erschwert.
- Immer weiter steigenden Arzneimittelpreisen und Zuzahlungsverpflichtungen für Hilfsmittel und Medizinprodukte müssen die gesetzlichen Krankenkassen und auch die BARMER entschlossen entgegentreten. Gesundheit darf nicht abhängig von der Verfügbarkeit zusätzlicher privater finanzieller Mittel sein, obwohl dies heute häufig schon der Fall ist. Die Politik hat hierfür die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, etwa im Zuge der Wiederherstellung des vollen GKV-Leistungskataloges, der auch Brillen, Zahnersatz etc. vollständig abdeckt. Gleichzeitig müssen die Krankenkassen und ihre Versicherten gesetzlich davor geschützt werden, dass Pharmaindustrie und Leistungsanbieter von Jahr zu Jahr steigende Rekordgewinne einfahren, die die Versicherten bisher finanzieren müssen. Gesundheit ist keine Ware, und Gewinnmaximierungsstrategien im Bereich der Gesundheit und Pflege sind zu untersagen. Für die GKV und die BARMER wird es in diesem Zuge ergänzend wichtig sein, sinnvolle Kooperationen mit Mehrwert für Versicherte und Einsparpotentialen umzusetzen, etwa bei besonderen regionalen Versorgungskooperationen mit ausgewählten Leistungsanbietern wie Krankenhäusern, Therapeuten oder Reha-Einrichtungen, oder einer stärkeren Rabattverpflichtung der Arzneimittelindustrie für unverzichtbare, den Alltagsbedarf absichernde Medikamente und deren Bestandteile.
- Gleichzeitig muss auch klar sein, dass steigende Versichertenbeiträge oder Zusatzbeiträge in Zeiten hoher Inflation und steigender Lebenshaltungskosten schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit keine Lösung sein können. Hier hilft aus meiner Sicht eine Verbreiterung der Versichertenbasis, also die Verbeitragung weiterer Personengruppen und Einkommensarten, sowie die Aufhebung oder Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen. An der paritätischen Beitragsfinanzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern darf keinesfalls gerüttelt werden.
- Wie alle anderen Krankenkassen auch muss die BARMER sichtbar und erreichbar für ihre Versicherten sein. Sie muss schneller und transparenter werden bei der Beantwortung aller Fragen, die die Kernanliegen der Versicherten betreffen, also etwa zu Leistungsbescheiden oder Widersprüchen. Daneben muss Sie aus meiner Sicht einerseits den Wandel vollziehen, der die gesamte GKV betrifft- hin zu einer digitalen, nutzerfreundlichen Ausgestaltung des Versorgungsgeschehens, etwa in den Bereichen der Weiterentwicklung der elektronischen Patientenakte oder der Verfügbarmachung digitaler Gesundheits- und Pflegeanwendungen, bei deren Entwicklung die Versicherten selbst mitgestalten und mitbestimmen dürfen. Andererseits darf der Trend zum Digitalen aber nicht dazu führen, dass klassische, präsenzgestützte Informations- und Versorgungsangebote vernachlässigt werden, dass die Erreichbarkeit gegenüber den Versicherten vor Ort leidet oder all jene Menschen, die keine digitalen Zugänge nutzen möchten oder können, ins Hintertreffen geraten.
- Dieser Aspekt berührt eine weitere Frage, die alle Versicherten im Land in den kommenden Jahren in zunehmendem Maße betreffen wird: wir Leben in einer älter werdenden Gesellschaft. Im Zuge des Älterwerdens verändern sich auch die eigenen Bedarfe und Ansprüche, etwa hinsichtlich des altersgerechten Wohnens in den eigenen vier Wänden oder Unterstützungsbedarfen bei Beantragung und Erhalt von häuslicher Pflege und ambulanten Unterstützungsleistungen. Hier ist es aus meiner Sicht entscheidend, dass sich eigentlich alle Krankenkassen mit der Frage befassen, wie sie aus der Sicht ihrer Versicherten deren Älterwerden sinnvoll und unterstützend begleiten und mit Rat und Tat dabei zur Seite stehen können, dass ihre Alltagsautonomie lange erhalten bleibt und gefördert wird. Dies geht aus meiner Sicht bspw. nur durch Kooperationen mit Kommunen und Leistungsanbietern, etwa im Rahmen regionaler Gesundheitszentren, in denen neben medizinischen und pflegerischen Leistungen auch therapeutische Angebote und soziale Dienstleistungen gebündelt angeboten werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit zumindest einige der aus meiner Sicht relevanten Herausforderungen für die BARMER in den nächsten Jahren skizzieren. Im Rahmen der Sozialwahl werde ich mich dafür einsetzen, dass diese und alle weiteren zukünftigen Themen immer mit dem Augenmerk darauf, was den Versicherten der BARMER tatsächlich dienlich ist und hilft, entwickelt werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Robert Spiller